Gnade sei mit euch und Frieden, von Gott, unserem Vater uns dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
A. Heute Abend soll es besonders sein. Wir alle haben uns vorbereitet, die einen mehr, die anderen weniger, aber irgendwie ist ja doch klar: Heute soll es besonders sein. Ich habe es schon vor Wochen gemerkt, als ich Einkaufen war: Feinste Belgische Pralinen gibt es da, natürlich in einer dunklen Verpackung und dem verspielten Schriftzug „Gourmet“ darauf. Da ist noch mehr: Rinderfilet am Stück, grönländischer schwarzer Heilbutt, Lachsrückenfilet und sogar Burgundersauce kann ich da kaufen. Nicht zu vergessen mein persönliches Highlight: Eis-Zimtsterne mit einem Kern aus Apfelsorbet. Zum Glück bin ich nicht hungrig einkaufen gegangen. Aber ich habe mir schon gedacht: Alles muss besonders und perfekt sein. Guter Geschmack reicht nicht, nein, es braucht noch mehr. Eine außergewöhnliche Verpackung und einen wohlklingenden Namen. Die Spuren des Besonderen entdecke ich auch an anderen Orten: Geschmückte Häuser mit leuchtenden Sternen und Tannengrün, Ideen für ausgefallene Weihnachtsgeschenke. In der Zeitung lese ich von einem Vier-Gewinnt-Spiel im Designerlook oder einem Flaschenöffner mit einem Vögelchen drauf. Es scheint, als würde alle Welt das Besondere suchen. Jede Faser des Weihnachtsfests soll wunderschön sein. Das Idealbild eines heilen Weihnachtsfests treibt uns bei den Vorbereitungen, Einkäufen und Verabredungen an.
B. Dabei ist es ja gar kein Geheimnis, dass es oft viel schwieriger und herausfordernder ist, das Besondere auch zu finden, als man es sich wünschen würde.
a) Ich denke an zuerst an die Fragen aller Fragen. Harmlos kommt sie daher, kann einem aber gleichzeitig einen kräftigen Schlag in die Magengrube verpassen: „Und? Mit wem feierst du Weihnachten?“ Zu Weihnachten wird sichtbar, was das restliche Jahr unter einem Deckmantel bleiben durfte. Unter drunter verborgen: Zerbrochene Beziehungen, Trauer, geplatzte Familienkonstellationen. Plötzlich treibt all das an die Oberfläche und schaut schmerzhaft hervor. Ich denke an den Sohn, dessen Vater unerwartet verstarb und der nun am Weihnachtstisch fehlt. Ich denke an die Mutter, die ihre Tochter schon wieder zum Weihnachtsfest auslädt, weil sie lieber mit ihrem neuen Freund und ohne die erwachsene Tochter Weihnachten feiern möchte. Ich denke daran, dass Streit vorprogrammiert ist, wenn plötzlich alle wieder unter einem Dach sind. Und auch daran, dass zerbrochene Freundschaften plötzlich schmerzhafter sind als sonst. Wohin ich auch schaue: Familiengeschichten sind selten widerspruchsfrei. Mal fehlt einer, mal ist etwas zerbrochen, mal ist es einfach ungewohnt, wieder beisammen zu sein und schwierig, miteinander in ein echtes Gespräch zu kommen. Mal ist auch einfach der Weg zu weit. Die Sehnsucht aber, die ist natürlich da: Nach einer heilen, liebevollen Familie und nach guten Gesprächen mit echtem, gegenseitigem Interesse. Nach dieser besonderen Harmonie, wenigstens heute Abend.
b) So bereitet man sich vor und stellt die nächsten Fragen: Was soll es zu Essen geben? Wie groß soll der Christbaum sein, wie wird er geschmückt und wie verbringen wir überhaupt die Feiertage? Nehmen wir den weiten Weg auf uns, um allen gerecht zu werden oder ist es in Ordnung, einfach mal daheim zu bleiben? Wer kauft wann ein, wer besorgt die Geschenke und verpackt sie in Geschenkpapier? Wo ist überhaupt der Christbaumständer und wieso ist die Lichterkette eigentlich so verheddert in der Packung? Wer von euch auf diese Fragen keine Antwort gefunden hat, wird jetzt auch keine mehr finden.
Wo bleibt da Platz für, das Heilige, das Außerordentliche, das Besondere? Wir jagen dem nach und träumen davon, wir haben Vorstellungen von Weihnachten im Kopf und sehen doch oft, dass die Realität anders aussieht. Schwieriger.
C. Dabei war es doch damals gar nicht so viel anders. Maria und Josef waren keine heile, bürgerliche und glückliche Familie, im Gegenteil. Geputzt oder vorbereitet war in Bethlehem gar nichts. Es gab nicht mal eine angemessene Unterkunft. Im Stall fehlte die Dekoration, geschweige denn dass das überhaupt eine gute Umgebung für eine Geburt bzw. ein Neugeborenes war. Josef und Maria hatten weder Freunde noch Verwandte zu Besuch, sondern ihnen unbekannte Hirten schauten vorbei. Es stank nach Tieren. Nicht einmal Frieden herrschte, wie uns Lukas erzählt, denn Kaiser Augustus war ein römischer Herrscher, der da als Fremder über das Land regiert.
Es ist insgesamt nicht Besonders im Sinne von besonders schön, es ist nicht außergewöhnlich im Sinne von außergewöhnlich fantastisch. Aber es ist: Heilig. Denn Gott braucht es nicht perfekt. Gott braucht es nicht aufgeräumt. Weihnachten fängt nicht erst da an, wo wir fertig sind, wo wir alle Beziehungen geordnet und alle Schmerzen weggesteckt haben. Hier, im Unperfekten, im dreckigen und stinkenden Stall. HIER beginnt das, was wir Heilige Nacht nennen. Die Sehnsucht nach dem Besonderen und Außergewöhnlichen, nein, viel mehr: Nach Heilsein, nach Vertrauen und Frieden – sie ist klein und runzlig und menschlich. In der Weihnachtsgeschichte liegt diese Sehnsucht in der Krippe im Stall. Ja, es scheint, als würde alle Welt das Heilige des Heiligabends im Außergewöhnlichen und im Besonderen suchen. Gott aber beginnt damit im Unperfekten, im Kleinen und Unaufgeräumten. Er beginnt im Menschlichen. Gott stört sich in Bezug auf dein Leben eben nicht an dem, was nicht fertig oder ganz ist – er macht es heil und heilig. Gott lässt es glitzern, wo vorher Tränen waren. Es fügt zusammen, wo man nur Scherben vermutet hätte.
Heute Abend ist kein besonderer Abend, heute ist Heiligabend, der seinen Namen trägt, weil Gott Mensch geworden ist und diese Nacht für uns heilig gemacht hat.
– Amen.