Predigt zu Karfreitag 2024 - Pfarrerin Esther Böhnlein

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, unserem Vater und dem Herren Jesus Christus – Amen.

A. Es ist immer furchtbar, wenn jemand stirbt

Liebe Gemeinde,

in meinem Beruf habe ich viel mit dem Tod zu tun. Er ist für mich absolut keine Alltäglichkeit, aber er ist mir über die Jahre vertrauter geworden. Wenn ich zu trauernden Angehörigen komme, dann weiß ich dennoch nie, wie die Lage sein wird – der Tod ist so unterschiedlich wie wir Menschen selbst. Die Geschichten vom Sterben sind einzigartig, auch wenn es Muster gibt. Und tatsächlich – und das ist vielleicht gar keine Überraschung – ist es so, dass es immer furchtbar ist, wenn ein Mensch stirbt. Egal, ob die Person hochaltrig und dement war. Egal, ob die Angehörigen tapfer sagen, dass es ein Segen war, dass die Person sterben durfte. Egal, ob alte Menschen plötzlich und unerwartet sterben oder es eine mittelalte Person ist, die schon lange krank war. Fast unnötig erscheint es mir, junge Menschen oder Kinder zu erwähnen: Der Tod kommt dennoch mit fieser Brutalität daher, weil ein geliebter Mensch plötzlich einfach fehlt. Es ist schier unvorstellbar und unfassbar, dass die Person nun einfach nicht mehr da ist. Es tut weh. Der Tod bringt Trauer mit sich, oft auch Wut und Verzweiflung. Ja, auch dann, wenn der Mensch eben nicht geliebt war, sondern einsam und allein – auch dann bleiben Rettungssanitäter, Polizisten oder Bestatter ratlos und erschüttert zurück. Nicht selten bringt der Tod auch Scham mit sich, weil es das diffuse Gefühl gibt zu wenig geliebt, getan oder gesagt zu haben. Orientierungslosigkeit, Ungewissheit und der schier unüberwindbare Haufen an organisatorischen Aufgaben, die mit dem Tod einhergehen. Ja, es ist immer furchtbar, wenn ein (geliebter) Mensch stirbt. Der Tod hinterlässt eine Lücke und reißt eine Wunde auf, die vielleicht heilen kann, aber immer eine Narbe hinterlässt.

B. Gott weiß, wie die ganze Scheiße ist

In alldem bin ich beruhigt, gar erleichtert, dass es den Karfreitag gibt. An keinem anderen christlichen Feiertag fühle ich mich so als Mensch von Gott gesehen, wie an dem heutigen Tag.

a) Das Bild vom lieben Gott

Wenn wir von Gott sprechen oder Gott ansprechen, dann ist es fast immer der gnädige und der barmherzige Gott. Nicht selten ist es der liebe Gott. Wenn ein geliebter Mensch verstirbt, dann kann es schwerfallen, von diesem lieben Gott zu sprechen. Wieso lässt er zu, dass eben dieser geliebte Mensch jetzt sterben muss? Was soll das? Wieso lässt Gott das zu, wenn es ein allmächtiger Gott sein soll?

39Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben.

Gott, den ich problemlos auch als lieben Gott bezeichnen kann – dieser Gott ist kein heiapopeia Gott. Kein Gott, der sich drückt und in letzter Sekunde ein irdisches Happy End schenkt. Es ist ein Gott, der sich nicht vor dem Tod versteckt, der uns nun mal sterblichen Menschen allen bevorsteht. Er kommt mit in die Dunkelheit hinein, steigt mit in den Abgrund des Todes. Das finde ich die ehrlichste Art, wie Gott überhaupt sein kann.

b) Keine Beschwichtigung

Wer Trauernden begegnet, der hat oft das innere Bedürfnis beim Trösten etwas „gut“ zu reden. Zu beschwichtigen oder schön zu reden, um damit Trost zu spenden. „Er war doch schon alt“, „sie war eben krank“ – Trauernde oder Menschen, die selbst stark getrauert haben wissen, dass das alles andere als hilfreich ist. Es tut eher weh, weil der eigene Schmerz weder gesehen noch ernst genommen wird. Viel hilfreicher ist es, den Schmerz mit-auszuhalten. Das kann ganz schön anstrengend sein. Aber angesichts des Todes gibt es einfach auch mal nichts zu beschönigen oder gut zu reden.

26Da gab er ihnen Barabbas los, aber Jesus ließ er geißeln und überantwortete ihn, dass er gekreuzigt würde. 27Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus mit (…) 28und zogen ihn aus und legten ihm einen roten Mantel an 29und flochten eine Dornenkrone und setzten sie auf sein Haupt und gaben ihm ein Rohr in seine rechte Hand und beugten die Knie vor ihm und verspotteten ihn und sprachen: Gegrüßet seist du, der Juden König!, 30und spien ihn an und nahmen das Rohr und schlugen damit auf sein Haupt.

Nichts wird beschönigt oder gut geredet. Der Tod wird nicht beschwichtigt. Gott kennt das Elend der Welt und den Tod, weil er ihn selbst erlebt hat.

c) Gottverlassenheit und Gottvertrauen schließen sich nicht aus

Sterben und Tod stellen eine heftige Ausnahmesituation dar. Wer im Sterben liegt oder am Sterbebett sitzt, für den ist alles andere unwichtig. Oftmals weiß man als Angehöriger nicht, wohin mit sich selbst, was tun oder sagen. Für alle Menschen kann sich dann ein Gefühl von Gottverlassenheit einstellen – Gott, wo bist du jetzt in diesem Moment? Wieso ist es so schwer und so schmerzhaft?

45Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Es ist der letzte Satz, den der gekreuzigte Jesus spricht, bevor er verstirbt. Er zitiert damit den ersten Vers von Psalm 22 aus dem Alten Testament. Jesus ruft nach Gott. Im Moment der absoluten Finsternis fragt er nach Gott. Jesus geht es damit nicht anders als uns, wenn wir im Angesicht des Todes um Fassung ringen. Und dennoch ist es erstaunlich: Denn im schlimmsten, einsamsten und hoffnungslosesten Moment seines Lebens ist Jesus fähig zu betet. Er kann beten, weil er die Psalmen kennt. Er kann sich an etwas festhalten. Und er betet, weil er Angst hat – Jesus packt die Energie der Angst und wandelt sie in aktives Handeln. Er schreit und betet, dadurch wird der Angst das bedrohlich Verschlingende genommen. Das Gefühl der Gottverlassenheit und das Vertrauen auf Gott schließen sich nicht gegenseitig aus – weder bei Jesus am Kreuz, noch bei uns.

C. Im Angesicht des Todes bin ich nicht allein

Für meinen eigenen Glauben ist der Karfreitag der wichtigste Tag im Jahr. Ja, Ostern bildet den Anker für all die Hoffnung, die ich habe. Ostern ist fröhlich. Fröhlich zu sein fühlt sich leicht an – es lässt sich leicht mit Freunden und Freundinnen teilen. Mit der Trauer ist das etwas anderes. Die tiefschwarze Dunkelheit scheuen wir Menschen. Tränen und Schmerz können überfordern. Es kann schwierig sein, nur annähernd die richtigen Worte oder überhaupt Worte zu finden. Karfreitag zeigt mir, dass ich damit als Mensch nicht allein bleibe. Karfreitag zeigt mir, dass ich mit allem Schmerz und aller Trauer niemals allein bleibe. Karfreitag zeigt mir, dass absolut nichts in diesem Leben passieren kann, bei dem mich Gott allein lassen würde. Gott selbst hat die absolute Finsternis und das Gefühl von Gottverlassenheit nicht gescheut. Gott selbst hält all das mit uns aus. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.