Gottesdienst am Karfreitag - 7. April 2023 - Predigt: Pfarrerin Esther Böhnlein

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, unserem Vater und dem Herren Jesus Christus – Amen.

Liebe Gemeinde,

„aber Jesus ließ er geißeln und überantwortete ihn, dass er gekreuzigt werde.“ Eine Ankündigung, kein Cliffhänger – wir wissen wir es weitergehen wird. Gleich geht es ans Eingemachte. Die Schritte bis dorthin sind wir tapfer mitgegangen: Letztes Abendmahl, Garten Gethsemane, Verrat und Verhör. Ein letzter Versuch von Pontius Pilatus. Aber die Entscheidung steht fest: Jesus wird am Kreuz sterben.

Wo wir dann ankommen, ist nichts mehr. Nullpunkt. Wir pusten die Kerzen aus, leeren den Altar, verhängen das Kreuz. Die Welt steht still.

Nullpunkt.

Nur noch die Toten auf den Schlachtfeldern. In der Ukraine. Russische und Ukrainische Soldaten und Soldatinnen, die einen sinnlosen Tod sterben. Der Hass in den Herzen und die Gewalt. Immer wieder Gewalt.

Nullpunkt.

Nur die Toten in unseren Zeitungen. Eine Floristin aus Lichtenfels. Ein 13-jähriges Mädchen. Zwei junge Männer auf der B4. Unverständnis, stockender Atem, Trauer.

Nullpunkt.

Nur die Toten in unseren Herzen. Die schmerzhafte Lücke, die sie hinterlassen haben. Schmerz, Leid und Traurigkeit darüber, dass sie fehlen.

Nullpunkt.

Und im Nullpunkt selbst: Gott. Gott selbst ist am Nullpunkt. Geht an den Nullpunkt. Ans Kreuz. Tod. Hingerichtete. Da geht Gott hin. Dahin, wo nichts mehr ist. Kein Leben, keine Perspektive.

Zu den Toten auf die Schlachtfelder und in die Schützengräben. Kriecht unter die Trümmer des Erdbebens und begräbt die Toten. Zu den Witwen und Waisen. Sitzt in den Todeszellen des Irans und bei denen, die sich nicht mehr auf die Straße trauen. Vor den Blumenladen, auf die B4. Er geht an den Nullpunkt und leidet mit uns mit.

Da, wo unsere Lieben fehlen und unsere Sehnsucht kein Ziel mehr hat.

Da, wo unser Kreuz schwer ist und wir es nicht mehr tragen können.

Da, wo unser Leben keine Perspektive mehr hat.

Gott geht an den Nullpunkt. Der Nullpunkt ist der Ursprung. In einem Koordinatensystem ist der Nullpunkt der Ursprungspunkt. Von ihm aus wird alles bestimmt. Von ihm aus werden die Richtungen der Dimensionen vorgegeben. Von ihm aus kann man die Lage bestimmter Punkte genau beschreiben. Von ihm aus kann man die Welt vermessen und alle Punkte der Welt verortet werden.

Gott ist am Nullpunkt. Gott ist am Kreuz.

Und er gibt die Richtungen der Dimensionen vor.

Kreuz zeichnen oder an die Kanzel hängen!

Und er gibt den Dimensionen ihre Bedeutung:

  • Himmel und Erde (von oben nach unten)
  • Vergangenheit und Zukunft (von links nach rechts)

Gott ist am Nullpunkt. Auch mit uns: wenn wir das Leben kaum aushalten. Wenn Fragen unser Herz schwer machen. Wenn die Frage nach dem Warum unser Denken lähmt. Er ist im Leid, in der Verzweiflung Im Tod. Gibt uns eine Perspektive und den Dimensionen eine Bedeutung. Ja, von diesem Nullpunkt aus ändern sich der Blick auf die Welt. Das Leben wird neu verortet.

Vielleicht spielt es sich erst nur in der Vergangenheit ab (zeigen!): In der Erinnerung an gute Zeiten, an das gemeinsam Erlebte, an Lebendigkeit und Liebe.

Vielleicht spielt es sich erst nur auf Erden ab (zeigen!): Am Grab, gebeugt in Trauer.

Aber die neuen Dimensionen sind genauso da: Der Himmel und die Zukunft (Zeigen): Ich sehe dort Sehnsucht, Hoffnung, neues Leben.

Am Nullpunkt, da ist Gott. Ursprung von allem. Und er öffnet Himmel und Erde, Sichtbares und Unsichtbares. Neue Dimensionen für das Leben. Geboren werden und Vergehen. Umspannt alles, ist alles in allem. Ich lese den Kolosserhymnus, der Predigttext für den heutigen Karfreitag:

Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung. Denn in ihm wurde alles geschaffen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Herrschaften oder Mächte oder Gewalten; es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, auf dass er in allem der Erste sei. Denn es hat Gott gefallen, alle Fülle in ihm wohnen zu lassen und durch ihn alles zu versöhnen zu ihm hin, es sei auf Erden oder im Himmel, indem er Frieden machte durch sein Blut am Kreuz.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.