Predigttext: 1. Könige 3,5-13
Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
unsere Welt ist schnell geworden. Als am Donnerstag die Deutsche Frauen Nationalmannschaft 1:1 gegen Südkorea spielte und damit bereits in der Vorrunde aus der WM ausschied, konnte man die Nachricht dazu bereits wenige Sekunden später im Internet lesen. „Eilmeldung“ stand da. „Deutschland ausgeschieden, mehr Infos in Kürze.“ Die Schnelligkeit der Nachrichten gilt in gleicher Weise für die Möglichkeit, seinen Senf dazuzugeben. Kurze Zeit später lese ich schon einen Kommentar unter besagter Eilmeldung: „Endlich wird die aufgesetzte und penetrante Berichterstattung in den Medien ein Ende haben und man kann sich sportlich relevanteren Veranstaltungen widmen.“ Und das ist nur der Anfang. Unsere Welt ist schnell geworden und richtig schnell hat auch jeder und jede dazu eine Meinung, die man als Kommentar veröffentlichen kann. Manchmal höflich, viel öfter aber derb und voller Wut. So sah sich beispielsweise die Neue Presse in dieser Woche dazu verpflichtet über die Schulweg-Kosten von Schüler und Schülerinnen aus der Stadt- und dem Landkreis aufzuklären. Die Diskussion in einer Facebook Gruppe war dermaßen hochgekocht, sodass Stadt und Landratsamt sich zu einem Statement verpflichtet sahen. Die Welt ist schnell geworden, komplex, unverständlich, für viele viel zu kompliziert. Und gleichzeitig ist oftmals keine Bereitschaft dafür da, sich zu informieren, Argumente abzuwägen und dann eine Meinung zu bilden. Wer lauter brüllt, hat Recht. Der Soziologe Hartmut Rosa hat das folgendermaßen zusammengefasst: „Da haben wir keine Debatten mehr darüber, wie wir leben wollen, wie wir unsere jeweilige Lebensformen einrichten, sondern die anderen sollen’s Maul halten.“
Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im Alten Testament im 1. Buch der Könige, Kapitel 15. Ich lese ihn nach der Übersetzung der Basis Bibel:
In Gibeon erschien der Herr Salomo nachts im Traum. Gott sagte ihm: »Was immer du bittest, will ich dir geben.« Salomo antwortete: »Deinem Knecht, meinem Vater David, hast du immer viel Gutes getan. Denn er war treu und gerecht, und sein Herz war stets auf dich gerichtet. Er hat sein ganzes Leben nach dir ausgerichtet, und du hast ihm die Treue gehalten. Du hast ihm einen Sohn gegeben, der heute auf seinem Thron sitzt. Ja, so ist es jetzt, Herr, mein Gott! Du selbst hast deinen Knecht zum König gemacht anstelle von meinem Vater David. Dabei bin ich doch noch ein junger Mann und weiß nicht aus noch ein. Als dein Knecht stehe ich mitten in deinem Volk, das du erwählt hast. Es ist ein großes Volk, so groß, dass es weder geschätzt noch gezählt werden kann.Gib mir, deinem Knecht, ein hörendes Herz. Nur so kann ich dein Volk richten und zwischen Gut und Böse unterscheiden. Wie sonst könnte man Recht schaffen in deinem Volk, das doch so bedeutend ist?«Es gefiel dem Herrn gut, dass Salomo genau darum gebeten hatte. Gott sagte ihm: »Du hast weder um ein langes Leben gebeten noch um Reichtum oder den Tod deiner Feinde. Stattdessen hast du um Einsicht gebeten, um auf mich zu hören. Nur so kannst du gerechte Urteile fällen. Darum werde ich deine Bitte erfüllen: Hiermit gebe ich dir ein weises und verständiges Herz. So wie du ist niemand vor dir gewesen, und nach dir wird es keinen geben wie dich.
Liebe Gemeinde,
Salomo weiß weder aus noch ein. Die Welt ist für ihn zu kompliziert geworden. Er ist unsicher und überfordert, schiebt dies sogar auf sein junges Alter. Wie praktisch, dass Gott, der HERR, ihm im Traum erscheint und ihm einen Wunsch gewährt. Salomo möchte – überraschenderweise – weder Geld noch Ruhm, nein, er möchte ein weiser Mann werden. Er will die Welt verstehen und das, was passiert, um ein guter König sein zu können. Er will zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Und ich möchte meinen: Wer einen solchen Wunsch äußert, der ist bereits ein weiser Mann.
In unserer pluralen, demokratischen Gesellschaft ist nun das Urteilen nicht mehr die Sache des Königs. Jeder Einzelner und jede Einzelne von uns ist dazu aufgefordert zu verstehen, was gut und was böse ist. Wir müssen selbst urteilen und dieses Urteil dann auch noch rechtfertigen und begründen können. Im Gespräch mit Freunden, am Kneipentisch, an der Wahlurne, gegenüber unserem eigenen Gewissen. Das Problem dabei: Wir leben in einer Welt, die immer komplexer wird. Zusammenhänge sind nicht leicht zu verstehen und setzen oftmals detailliertes Wissen voraus. Wir leben in einer Welt voller Widersprüche, voller Konflikte.
- Sollte man den assistierten Suizid am Lebensende rechtlich möglich machen?
- Ist es gut, dass die Bundesrepublik Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, weil die Menschen sich dort dadurch selbstverteidigen können? Oder wird der Krieg damit einfach verlängert?
- Welche Möglichkeiten gibt es, um die Klimakrise aufzuhalten und ist es ein probates Mittel der Aufmerksamkeit sich dafür auf die Straße zu kleben?
Das Gute und das Richtige auf der einen Seite, das Böse und Falsche auf der anderen Seite – so leicht ist es leider nicht. Kein ja oder nein, kein schwarz oder weiß. Aber es wäre halt schon schön, wenn es so wäre.
„Gib mir, deinem Knecht, ein hörendes Herz.“, so drückt Salomo seinen Wunsch aus. Und Gott antwortet: „Ich gebe dir ein weises und verständiges Herz.“ Das Herz ist in der Vorstellungswelt des Alten Testaments die Mitte der Person. Uns geht es da im 21. Jahrhundert kaum anders. „Was hast du auf dem Herzen?“, einen „Stich im Herzen spüren“, „das Herz hüpft vor Freude“ – auch bei uns ist das Herz der Sitz unserer Gefühle. „Herz über Kopf“ singt Joris im gleichnamigen Lied aus dem Jahr 2015 um damit auszudrücken, dass Herz und Kopf sich nicht immer so ganz einig sind. Wir Menschen finden uns mit dem Herzen in unserem Leben zurecht. Es ist wichtig, ob das Herz hüpft oder schmerzt. Es ist unser Resonanz- und Beziehungsorgan. Oder anders gesagt: Wir erkennen, verstehen und urteilen immer in Beziehung zu anderen und nie total isoliert. Es ist uns wichtig, was andere zu einem Thema denken. Das Herz, es ist der Ort, an dem wir zu anderen in Beziehung treten. Zu uns selbst. Zur Welt. Und auch zu Gott. Das Herz ist der Ort, an dem sich Gott und der Mensch begegnen.
Ein hörendes, ein weises und verständiges Herz. Das ist also ein Herz, das zuhört. Das nicht gleich alles besser weiß, sondern wirklich mit dem Herzen hinhört, wenn es zu sich selbst, zur Welt oder zu Gott in Beziehung tritt. Ein hörendes Herz hört zu, fragt nach, lässt eine Verbindung entstehen. Es trifft keine vorschnellen Urteile oder versucht Antworten zu finden. Eine Studie hat gezeigt, dass junge Therapeuten und Therapeutinnen viel öfter Therapieerfolge erziehen als ältere Kollegen und Kolleginnen. Wieso? Sie sind noch nicht so überzeugt von ihrem eigenen Können. Sie hören besser zu, ziehen keine voreiligen Schlüsse und lesen sogar nochmal etwas nach. Ein hörendes Herz kann vor Selbstüberschätzung bewahren und es sogar möglich machen, neue Erfahrungen zu sammeln. Wenn ich mich auf das einlasse, was mein Gegenüber mir da erzählt, anstatt es als eine Bedrohung wahrzunehmen.
Sicherlich gibt es Grenzen. Keine zum Ohren zuhalten, sondern zum Mund aufmachen. Wenn es um Rassismus geht, um Sexismus oder Antisemitismus. Ein weises Herz ist dann nicht mehr nur hörend, sondern kann deutlich zwischen Gut und Böse unterscheiden.
Gib mir, dem Knecht ein hörendes Herz, so bittet es Salomo. Und Gott gibt ihm, ein weises und verständiges Herz. Wir können es ebenfalls gut gebrauchen, in unserer immer schneller werdenden und komplexen, komplizierten Welt. Ein Herz, das hinhört, zuhört. Ein Herz, das aufhört vorschnell Urteile zu fällen. Ein Herz, das es schafft Widersprüche und Dilemmata auch einmal auszuhalten, statt sie auflösen zu wollen.
Einfach ist das nicht. Aber der Zuspruch Gottes an uns ist da, dass wir dazu fähig sind. Dass wir das können. Denn Gott selbst hat uns die Weisheit dazu schon längst geschenkt. Jesus Christus erinnert uns mit dem Doppelgebot der Liebe genau daran: Dass wir mit unserem Herzen Gott lieben sollen und dass wir unseren Nächsten wie uns selbst lieben sollen. Man hört nur mit dem Herzen gut – und Gott hat uns die Begabung dazu geschenkt. Ein Herz, dass mit anderen in Verbindung treten kann. Mit Gott, mit der Welt, mit uns selbst. Ja, und dann können wir das eben auch: Offen sein für Widersprüchlichkeiten in unseren Leben und in unserer Welt. Verständig über Gut und Böse nachdenken. Uns ausrichten an dem, was uns Gottes Wort darüber sagt, was recht ist. Uns ein Urteil bilden und aushalten, dass nicht alles perfekt ist. Gott hält es mit uns aus, bis alles anders wird, in seiner Ewigkeit. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.