Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
Der Predigttext für den heutigen Gründonnerstag schließt an die Lesung des Evangeliums an, die wir vorhin gehört haben. Bei Lukas im 22. Kapitel heißt es weiter:
Und er ging nach seiner Gewohnheit hinaus an den Ölberg. Es folgten ihm aber auch die Jünger. Und als er dahin kam, sprach er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Und er riss sich von ihnen los, etwa einen Steinwurf weit, und kniete nieder, betete und sprach: Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe! [Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.] Und er stand auf von dem Gebet und kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend vor Traurigkeit und sprach zu ihnen: Was schlaft ihr? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt!
Der Evangelist Lukas ist ein wahrer Künstler. Er malt ein Bild für uns, ich sehe es vor mir: Jesus, zusammengekauert auf dem Boden. Kalter Boden, vielleicht ein wenig feucht, weil es Nacht ist. Dunkel ist es nicht, der Vollmond strahlt hell. Hier und dort eine Fackel. Ich sehe die Olivenbäume vor mir und grünes Gras. Dort sehe ich ihn also, betend, verzweifelt im Garten Gethsemane: Jesus. Können Sie sich in die Situation einfühlen? Es geht zunächst gar nicht so sehr um die Gefahr für Leib und Leben. Der Kern der Erzählung ist existenziell: Zusammengesackt, niederkniend oder eingerollt. Verzweifelt, vielleicht tränenüberströmt. Nicht mehr wissend, wie es noch weiter gehen soll. Eine Situation, wie sie zum menschlichen Dasein dazugehört. Schmerzhaft und unschön. Und gerade deswegen stellt sich zugleich die Frage: Wie komme ich da jetzt wieder raus? Wie schafft man es, Verzweiflung in Stärke zu wenden?
Eine Frage, die auch 2000 Jahre später hochaktuell ist. Wer auf Social Media unterwegs ist oder auch im Buchladen in der Ratgeberabteilung, der merkt: Das Thema Resilienz und innere Stärke treibt uns Menschen um. Also schauen wir einmal gemeinsam, welche Antworten das Evangelium darauf findet…
Der erste Hinweis befindet sich im Kontext unserer Erzählung. Wer Verzweiflung und Anfechtung ausgesetzt ist, wem es nicht gut geht, wer vielleicht sogar seines Lebens überdrüssig ist und wem die Augen vor Tränen weh tun, der braucht andere Menschen. Gemeinschaft, Zuhörer, Freunde und Freundinnen. Jesus selbst versammelt sich mit seinen Herzensmenschen zum gemeinsamen Abendessen. Es ist ihm wichtig, nicht allein zu sein, sondern zusammen als Gemeinschaft Zeit zu verbringen. Auch jetzt, im Garten Gethsemane, sind seine Freunde bei ihm. Anfang Februar dieses Jahrs ereignete sich ein schwerer Unfall, bei dem der Eishockeyspieler Mike Glemser verletzt wurde. Bei einem sogenannten Check auf dem Eis knallte er gegen die Bande und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Kurze Zeit später war klar: Glemser ist querschnittsgelähmt. In der Anfangszeit konnte er nicht einmal selbstständig atmen. Seine Freundin Lara Lindmayer ist seit dem Unfall fast jede Minute an seiner Seite. Sie sagt: „Wenn Leute bei ihm sind, dann versucht er, der alte Mike zu sein. Doch wenn wir alleine sind, kommt es vor, dass er sein Leben infrage stellt. Manchmal sagt er sogar, er würde jetzt am liebsten aus dem Fenster im dritten Stock springen.“ In tiefster Verzweiflung, in Schmerz und Anfechtung, da braucht es Gemeinschaft. Ein Netzwerk, das trägt.
Der zweite Hinweis wird uns von Jesus quasi entgegengeschrien: Betet! Und auch Jesus selbst kann in seiner aussichtslosen Lage nichts anderes tun, als zu Beten. Vor Kurzem habe ich ein kurzes Video gesehen. Ein Interview mit einer jungen Frau, die mit akuten Kopfschmerzen ins Krankenhaus kam und bei der überraschenderweise ein Tumor festgestellt wurde. Sie musste sofort operiert werden und berichtet in dem Interview von dem kurzen Telefonat mit ihrem Vater. Er sagt nicht viel, außer: Ich liebe dich. Und ich kann jetzt nicht mehr für dich tun, als zu beten. In der Situation von absoluter Verzweiflung, dann, wenn nichts mehr geht, geht immer noch eins: Alles im Gebet vor Gott hinzulegen. Selbst wenn die Worte fehlen, dafür haben wir ja die Worte des Vaterunsers bekommen. Gebet schafft Linderung – das Gedankenkarussell hält an, die Last wird mit Gott geteilt.
Der dritte Hinweis zeigt uns, dass auch die Menschen zur Zeit der Entstehung des Lukasevangeliums sich darum Gedanken gemacht haben: Wie kommt Jesus von der Verzweiflung zu neuer Stärke? Irgendetwas passiert da zwischen dem Gebet und dem Danach. Zudem war es wohl für die Menschen selbst schwer zu ertragen, dass auch Gottes Sohn Jesus Christus in der Situation absoluter Verzweiflung und Todesangst allein bleibt. In früheren Handschriften fehlen die Verse 43 und 44 noch, sie sind wohl erst später dazu gekommen. Ich lese sie noch einmal vor:
Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen.
Die Engelserscheinung folgt wie eine Antwort Gottes auf das Gebet. Irgendetwas passiert da zwischen der Situation IM Gebet und NACH dem Gebet. Dies in Worte zu fassen: schwierig. Also braucht es ein schnell verständliches Bild: Einen Engel. Die Zusage, die dahintersteht, ist auch heute unmittelbar anknüpfungsfähig: Wenn es dir schlecht geht, dann schickt Gott dir einen Engel. Nicht umsonst ist Psalm 91,11 der mit Abstand beliebteste Taufspruch:
“Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,”
Die Kernessenz davon lautet: Gott lässt dich nicht allein, erst recht nicht im Moment tiefster Verzweiflung. Das Bild des Engels, der den Verzweifelten stärkt: ungebrochen nachvollziehbar.
Zusammengesackt, niederkniend, vielleicht im Bett eingerollt. Überströmt mit salzigen Tränen oder heimlich unter der Dusche weinend. Angefochten vom Leben, von den Umständen des Lebens, von Krankheit, Schicksalsschlägen oder von anderen Menschen. Die Situation, in der Jesus sich im Garten Gethsemane befindet: sie gehört zum Wesen des Menschen dazu. Schmerzhaft und unschön. Kurz nach unserem heutigen Predigttext lese ich vom souveränen Jesus, der bei seiner Gefangennahme abgeklärt, ja auch mutig und selbstbewusst auftritt. Wie ist aus der Verzweiflung Stärke geworden?
Drei Hilfestellungen gibt das Evangelium des Gründonnerstags uns mit auf den Weg: Die Gemeinschaft mit anderen Menschen gibt Stärke, die allein nicht spürbar ist. Im Gebet ist der Ort, um alles abzugeben, was Verzweiflung auslöst – Gott ist dann an der Reihe, um das mitzutragen und auszuhalten. Und: Selbst im Moment größter Verzweiflung bleibt Gott ein verlässlicher Beistand. Das Bild des Engels kann dafür ein hilfreiches Bild sein. Aus Verzweiflung kann ungeahnte Stärke werden. Aber nicht, weil ich mich auf mich verlasse, sondern weil ich weiß: Da sind noch mehr, die mit mir mitgehen. In letzter Instanz ist es Gott, der jeden Weg mitgeht. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.